Elektronische Ästhetik, http://www.sueddeutsche.de

Im Kraillinger Salon für Klang und Kunst erkunden die mit Samples arbeitende Flötistin Maja Osojnik und der Hausherr Udo Schindler an Klarinette und Saxophon die Grenzbereiche der Musik
Von Reinhard Palmer, Krailling, 30.11.2015

Eines ist sicher: Bei jedem Besuch des Kraillinger Salons für Klang und Kunst erwartet den Zuhörer ein anderer musikalischer Kosmos. Jeder Gast, den der Hausherr, Architekt und Musiker Udo Schindler dazu einlädt, mit ihm zu musizieren, bringt eine eigene Klangwelt, eine eigene Art zu improvisieren und vor allem auch ein eigenes Instrumentarium ein. Oft sind es gängige Instrumente, die nur mit unkonventionellen Techniken gespielt und bearbeitet werden. Manchmal sind es aber auch exotische Kreationen des Instrumentenbaus. Unter anderem auf so einem Kuriosum musiziert die aus Slowenien stammende und in Wien lebende Musikerin Maja Osojnik.


Irgendwo zwischen Kaufbeuren und Marktoberdorf baut der Blockflötenbauer Herbert Paetzold im Querschnitt viereckige Bassblockflöten, zum Teil von monströser Größe. Das aus einem Standfuß aufragende Instrument von Osojnik gehört zu den kleineren Ausgaben. Sie ist allerdings nicht etwa darauf bedacht ist, damit Töne im üblichen Sinne zu erzeugen. Mit Tonabnehmern versehen und stark verstärkt werden beim Bearbeiten des Instruments Töne und Geräusche hörbar, die sonst nur als unvermeidbare, doch vernachlässigbare Nebengeräusche wahrgenommen werden. Osojnik machte sie zu Protagonisten, erzeugte mit den Klappen perkussive Klänge, sang oder winselte durchs Mundstück, schnalzte, knutschte, trillerte.

Damit gab es eine direkte Verbindung zu Schindler, der ähnliche Spieltechniken anwendet. An der keinesfalls bescheidener dimensionierten, metallenen Kontrabassklarinette, am Euphonium und am Sopransaxophon angewandt, ergeben sich allerdings gänzlich andere Klänge. Weniger geräuschhaft, oft auch mit satter Substanz ausgespielt. Mysteriöse Wirkungen kommen indes zustande, wenn Schindler viel Luft durch die Röhren schickt, mit Zungen- oder Lippenschnalzern tröpfelnde Einzeltöne darin hallen lässt oder winselnd die Obertöne herauslockt. Der wesentliche Unterschied lag allerdings darin, dass Schindler analog blieb, während Osojnik reale Töne nur als Material der elektronischen Verfremdung und Verarbeitung benutzt.

Elektronik ist eine häufig vertretene Komponente der Ad-hoc-Improvisation, ist sie doch in der Lage, die auf jegliche Bindung an Tonalität, Harmonien, thematische Arbeit verzichtenden akustischen Wanderungen mit ungeheuer imaginativen Klängen zu bereichern. Die Unterscheidung zwischen männlicher und weiblicher Spielweise, die man bei klassischen Instrumenten durchaus deutlich wahrnehmen kann, ist interessanterweise auch hier nachvollziehbar. Während bei Männern in der Regel der physikalische Aspekt im Vordergrund steht, entwickelte Osojnik vor allem eine stark ausgeprägte Ästhetik. Wobei sie sich nicht davor scheute, auch mal große Wirkungen und emotionale Effekte einzubringen. Als Ausgangsmaterial benutzte sie vorproduzierte CD-Aufnahmen mit Soundscapes, stimmlichem Material oder Chorgesängen, die sie durch den Sampler schickte, bevor sie noch einmal durch diverse andere Geräte oszillierend, verzerrt, pulsierend, in den Frequenzen ummodelliert aus den Boxen erklangen. Osojnik wagte auch große Höhenflüge, in denen sie mit Repetitionsgerät selbst wohlklingend einen ganzen Orchesterapparat aufbaute, um darüber weit gedehnt ihre Stimme schweben zu lassen. Sehr eigen war in dieser Konstellation die Arbeit mit Pausen, mit der Stille. Und das Duo Osojnik und Schindler fand intuitiv schnell zur Übereinkunft, wann und wie lange die Instrumente zu schweigen haben. Eine packende Spannung kam auf – gewiss auch für die Musiker immer wieder eine faszinierende Erfahrung.

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